SRH Gesundheitszentrum Bad Wimpfen
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Progressive Supranukleäre Blickparese (PSP) - Mögliche Besserung der Gang- und Standsicherheit

Dr. Kaut, Privatdozent und Chefarzt der Neurologie des SRH Gesundheitszentrum Bad Wimpfen gibt in einem Artikel des dPV-Journals einen Überblick über den aktuellen Stand in Forschung und Wissenschaft.

Mögliche Besserung der Fallneigung bei Patienten und Patientinnen mit Progressiver Supranukleärer Blickparese (PSP)

Die PSP ist eine degenerative Erkrankung, die in vielen Aspekten der Parkinson-Krankheit ähnelt, sich aber u.a. durch eine Blicklähmung davon unterscheidet, was entsprechend in die Namensgebung Eingang gefunden hat. So variantenreich die PSP sich auch präsentiert, gehört die Fallneigung mit Gang- und Standunsicherheit zu den klassischen Symptomen der Erkrankung, die schon typischerweise am Anfang oder zumindest in den ersten drei Jahren des Krankheitsverlaufs auftritt. 

Durch Stürze, Sturzfolgen und die sich daraus entwickelnde Angst vor Stürzen wird die Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben deutlich eingeschränkt und die Lebensqualität verschlechtert  So kommt es bei ca. 30% der PSP-Patienten zu Knochenbrüchen durch Stürze, während im Vergleich gleichaltrige Menschen ohne PSP seltener mit 5-15% davon betroffen sind.

Folglich ergibt sich ein hoher Bedarf für wirksame Therapien der Fallneigung. Leider ist dieses Problem sowohl in wissenschaftlicher als auch praktischer Hinsicht weitgehend ungelöst. Grundsätzlich sind pharmakologische und nicht-pharmakologische Ansätze wie z.B. Krankengymnastik zu erwägen.

Sehen wir uns zunächst die pharmakologischen Möglichkeiten an. In pharmakologischen Studien wurden verschiedene Medikamente getestet, führten bisher aber zu keinen positiven Ergebnissen. Nicht-pharmakologische Ansätze bestehen aus Hirnstimulationsverfahren, Physiotherapie, Eigentraining und Sturzvorbeugung. Die Tiefenhirnstimulation (THS) hat sich in der Behandlung der Parkinson-Krankheit weltweit bewährt. Die Fallneigung gehört auch bei der Parkinson-Krankheit zu einem der Kardinal-Symptome, wenn auch schwächer ausgeprägt und erst später im Verlauf auftretend, wird aber durch die THS sicherlich nicht gebessert. Zusätzlich hat man dieses Verfahren auch bei der PSP untersucht. Trotz geringer Besserung in Einzelfällen waren die Ergebnisse statistisch negativ. 

Die THS erfordert einen operativen Zugang mit Elektroden-Implantation, es gibt aber auch nicht-operative Verfahren wie z.B. die Hirnstimulation mit Gleich- oder Wechselstrom (transcranial direct current stimulation, tDCS; oder transcranial alternating current stimulation, tACS). Dabei werden Elektroden auf die Kopfhaut aufgeklebt, die nach Behandlung wieder entfernt werden. Dieses neue Verfahren wurde für den Einsatz bei PSP mit Fallneigung bisher nur an einzelnen Patienten untersucht. In den meisten Fällen auch ohne Kontroll-Gruppe, sodass mögliche Besserungen nicht eindeutig auf die Strombehandlung zurückzuführen sind. Ob sich dies in einer großen Studie bestätigen lässt, bleibt abzuwarten, stellt aber sicherlich einen vielversprechenden Ansatz dar.

Auch mit Magnetstimulation (repetitive transkranielle Magnetstimulation, rTMS) kann man nicht-invasiv ausgewählte Hirnareale ansteuern. Dazu wird eine Magnetspule über dem Kopf plaziert. An der Gehirnoberfläche wird ein sehr kurz bestehendes elektrisches Feld aufgebaut, das Nervenzellen aktiviert. Hinsichtlich dieser Methode sieht die Studienlage besser aus, da seit 2004 einige methodisch gute Studien mit 10-20 Teilnehmern pro Studie und Placebo-Behandlung durchgeführt wurden. In drei Studien besserte sich die Gangfähigkeit. Die dPV hat sich daher entschieden selbst eine Studie mit rTMS bei PSP zu fördern, die zur Zeit in der Neurologie des Universitätsklinikums Bonn läuft, bisher haben sich dort bereits 20 Patienten gemeldet und zum Teil schon teilgenommen (Ansprechpartnerin Fr. Dr. Aline Beyle, Aline.Beyle@ukbonn.de). Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse ist Anfang 2024 zu rechnen.
 
Den wichtigsten Baustein der Therapie stellt aber zweifelsfrei die Physiotherapie dar. Während für die Parkinson-Krankheit eine sehr gute evidenz-basierte Europäische Leitlinie existiert, gibt es dies in ähnlicher Form für die atypischen Parkinson-Syndrome nicht. Trotzdem liegt eine große Zahl Studien vor. Es wurde klassisches Gangtraining allein oder kombiniert mit Laufbandtrainig oder moderner Robotik, z.B. Locomat® untersucht. Methodisch sind die Studien sehr unterschiedlicher Qualität, zeigen eine moderate Besserung der Gangfähigkeit schon nach wenigen Wochen Therapie, wenn auch teilweise ohne statistische Signifikanz. Die Kombination verschiedener Therapieformen wie Gleichgewichtstraining, Gymnastik, Dehnübungen, Gangtraining für 4 Wochen entsprechend einer ambulanten Rehabilitation ergab eine Besserung der Gangfähig, wurde aber leider ohne Kontrollgruppe durchgeführt (Matsuda N et al., 2022). Ohnehin scheinen Kombinationen verschiedener Anwendungen einen Vorteil zu versprechen, so war auch der zusätzliche Einsatz musikalischer Reize hilfreich. Ungeachtet der teilweise fehlenden wissenschaftlichen Evidenz sollte die Physiotherapie grundsätzlich bei allen PSP-Patienten durchgeführt werden.
In der Krankengymnastik kann auch ein täglich selbst anzuwendendes Heimtrainings-Programm individuell entwickelt werden, viele Übungen kann man alleine im Sitzen ausführen und sind rasch zu erlernen. Die Eigeninitiative der Patienten ohne Anweisenheit von Therapeutinnen und Therapeuten sollte unbedingt gestärkt werden. Hier verweisen wir auf die sehr gute Trainingsanleitung der PSP-Gesellschaft (www.psp-gesellschaft.de). Ziel ist die Körperwahrnehmung zu bessern, und vorallem Schutzreaktionen bei Sturz zu stärken, wie z.B. Ausfallschritte, festhalten bzw. zufassen an Gegenstände oder den stabilen Stand einzuüben.

Schließlich sollte man die Vorbeugung von Stürzen nicht ausser Acht lassen. In der Therapie kann man risikohaften Verhalten analysieren und dessen Vermeidung besprechen, auf Gefahren wie freezing mit zunehmenden Trippelschritten hinweisen und Verhalten dahingehend ändern, dass Bewegungen/Aufstehen/Gehen eher langsam und konzentriert ausgeführt werden, ohne sich z.B. durch ein Gespräch ablenken zu lassen.

Sollte dies zur Vermeidung von Stürzen nicht ausreichen, ist die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Rollator oder Rollstuhl sinnvoll. Diese Hilfsmittel sollten nur geringes Gewicht haben, um im Alltag für Angehörige oder Therapeutinnen leichter handbar zu sein.
Wahrscheinlich werden in naher Zukunft auch telemedizinische Anwendungen an Bedeutung gewinnen. Die Vorteile liegen auf der Hand: die Patienten können zu Hause vor dem PC-Bildschirm trainieren ohne einen weiten Weg zur Praxis auf sich nehmen zu müssen. Ob diese online-Therapie genauso wirksam ist, wie die Therapie vor Ort bleibt noch zu klären.